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Zurück im Zombieland

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Ich hieve mein gepäckbeladenes Fahrrad in den Zug. Alle Sitzplätze im Fahrradabteil sind besetzt und nur ich habe ein Rad dabei. Na gut, ich bleibe bei meinem Rad stehen, dann rollt es nicht umher. Der Zug fährt los und ich schaue mich im Abteil um. Kein Fahrgast spricht miteinander. 12 von 18 Menschen scheinen sehr smart zu sein. Sie habe smarte Mobilgeräte bei sich, schauen auf Smartwatch, Tablet, Smartphone. Nur wirken ihre User nicht besonders smart. Mit gebeugter Haltung, krummem Nacken, starren auf ihre Mobilgeräte, bewegen ab und zu hektisch die Daumen. Sie atmen flach. Es herrscht Schweigen im Walde.

Ich denke an die letzten Tage zurück, an meine Radtour im Herbst durch Schleswig-Holstein. So schweigsam war es in den Wäldern, durch die ich gefahren bin oder in denen ich geschlafen habe nicht. Der Wind rauschte in den Bäumen und verband sich mit den Regentropfen auf meinem Tarp zu einer entspannenden Soundkulisse. Bussard-, Raben- und Kranichrufe haben mich die Tage über begleitet, mit unzähligen anderen Naturgeräuschen und ich finde es gibt kaum ein schöneres Geräusch, als Wind der durch Kiefernnadeln streicht.

Hier im Zombieland jault der Fahrtwind um den Zug. Kein Vogel sagt etwas, auch nicht die Vögel vor mir im Abteil. „Hoffentlich wollen diese Zombies nicht mein Gehirn fressen!“, schießt es mir durch den Kopf. Sie scheinen danach nicht zu verlangen. Ich glaube sie jagen nach Likes, Hashtacks, Levelupgrades. Zum Glück also kein apokalyptisches Zombie-Survival-Szenario, bei dem ich mir aus meiner Spiritusflasche für meinen Kocher Molotovs bauen muss und mich mit Taschenmesser und brennden Fackeln aus Zeltbahnen in Sicherheit kämpfen muss. Skurrile ist es trotzdem, denn plötzlich beginnt eine junge Blondine mit dem Nichts zu sprechen. Sie redet mit irgendwem, aber mit niemandem im Abteil. Sie lacht, antwortet, fragt, unterhält sich, gestikuliert dabei. Es schaudert mich. Was passiert hier? Achso, sie telefoniert mit Knöpfen im Ohr und Mikro am Hals. Ich bin anscheinend der einzige der aufschaut. Im Abteil wird weiter auf smarte Geräte gestarrt. Ich muss mir vorstellen, wie grotesk es aussehen würde, wenn aus den Mündern dieser krummsitzenden Zombiemasse Speichel tröpfe und einer langsam seinen Kopf dreht, mich mit leeren Augen fixiert und kehlig haucht: „Like mich auf Instergram!“

Ich will mich ablenken und erinnere mich an eine Begegnung die ich ein Tag zuvor hatte. Ich fuhr bei Regen durch Wälder und Felder und auf einer kleinen Straße kurz vor einem Bauernhof stand ein alter Mann mit schwarzem Regenschirm am Straßenrand. Er rief mir zu: „Halt, halt, bleib mal stehe!“ Ich blieb stehen und wunderte mich, was er wohl von mir wolle. Er kam ein paar Schritte näher und sagt: „Na! Kein so schönes Wetter zum Fahrradfahren, was?“ Ich lächelte schief und entgegnete: „Naja es könnte aber auch schlimmeres Wetter sein.“ Er lachte kurz und sagte: „Aha. Und du bist Fahrradfahrer?“ Ich dachte: Äh na klar, ich sitze gerade auf meinem Fahrrad und sagte schlicht: „Jo!“ Die Augen des alten Mannes begannen hinter seiner Brille zu leuchten und er erzählte mir: „Ja weißt du, ich bin früher auch viel Rad gefahren. Seit meiner Rente. Bis das nicht mehr ging mit dem Radfahren. Und ich hatte so ein Tacho an meinem Rad und bin 11.000 Kilometer gefahren. In 11 Jahren. Das ist doch was! Das hab ich gemacht, bis ich nicht mehr Radfahren konnte. Jetzt geh ich zu Fuß meine Runden.“ Ich war erstaunt und beeindruckt. Er fragte mich: „Na schätz doch mal wie alt ich bin?“ Ich zuckte mit den Schultern: „Boah das ist schwer. So um die 80 Jahre vielleicht?“ Er grinst mich an und stellt sich ein wenig in stolze Pose: „Ich bin 89 Jahre alt! Ich habe nie geraucht, nie getrunken, also Alkohol, und hab mich immer bewegt. Und der Arzt sagt, so werden Menschen alt!“ Zum Abschied klopfte er mir freundlich auf den Arm und wünschte mir eine gute Reise. Ich fuhr weiter, musste über diese Begegnung schmunzeln und war sehr dankbar dafür, dass ein alter Mann mir einen Teil seiner Lebensweisheit aufgedrängt hat. So in echt, im Gespräch miteinander, in der realen Welt.


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